Warum ich?


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Einer meiner Spaziergänge in Prags Villenviertel Bubeneč. Ein wunderschöner Tag mit meinen Gästen. Photo: MZ

Weil ich diese Stadt liebe wie wenn sie meine Geburtsstadt wäre. Und weil ich sie gleichzeitig aus der kritischen Distanz des Zugereisten sehe.

Prag ist eine unglaublich interessante Stadt. Das Stadtbild ist sehr abwechslungsreich – das sieht man aber nur dann, wenn man sich auch ausserhalb der Altstadt bewegt. Prag ist bei weitem mehr als “Burg, Brücke und Bier”. Prag hat eine über 1000 Jahre alte Architekturgeschichte, von der Romanik bis zu den ultramodernen Villen der neuen Reichen. Prag hat viel Grün, hat zauberhaft schöne Gärten, versteckte Winkel, ländliches Ambiente mitten in der Stadt, faszinierende Fassaden, und gewährt durch seine auffälligen Höhenunterschiede grossartige Ausblicke.

Die Květnice, der versteckte “Blütengarten” auf dem Petřín, der Anhöhe westlich der Kleinseite.

Die Stadt funktioniert gut. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind sehr gut organisiert, die orange Strassenbeleuchtung verzaubert die Stadt jede Nacht, die vielen Theater sind oft ausverkauft. Prag ist nicht die ideale Einkaufsstadt, aber wenn man weiss, wo (oder sich von mir beraten lässt), kann man wunderbare Läden entdecken und so manche Spezialität heimnehmen. Prag hat auch seine hässlichen Ecken – und wenn man um drei Ecken geht, findet man sich manchmal in einem kleinen Paradies wieder.

In Prag kann man sehr gut essen, und das bei weitem nicht unbedingt in den vom touristischen Mainstream hochgejubelten Lokalen. Auch VegetarierInnen und Gäste mit besonderen Ernährungsbedürfnissen kommen voll auf ihre Kosten, aber auch hier sollte man wissen, wo es was gibt. Die hiesige Küche bietet auch eine grossartige Vielfalt an lokalen Spezialitäten, da braucht es aber die entsprechende Übersetzung.

Die Rolle Prags in der europäischen Geschichte ist wesentlich bedeutender, als man annehmen würde. Zahlreiche Ereignisse, die hier stattfanden, hatten und haben europäische, wenn nicht weltweite Auswirkungen.

Mein Thema lautet Geschichte im Kontext. Viele Entwicklungen stehen miteinander in einem Zusammenhang, Kunst, Politik, Religion, Literatur sind verwoben in kontinuierlichen Synergien. Ich will Ihnen das alles zeigen und erzählen.

Meine Spezialitäten

Eines meiner Lieblingsthemen sind Baustile, Architektur als Kunstform und Erscheinungsbild ihrer Zeit. Mich interessiert z.B. die Entstehung der Gotik, deren Ursprünge nicht allein dem genialen Ideenreichtum eines Pariser Abtes entsprangen, sondern ein unglaubliches Zusammenkommen aus Einflüssen verschiedenster Art waren. Orientalische Elemente sind da ebenso vertreten wie normannische Innovationen, die aber vermutlich eher aus dem Umfeld lombardischer Architektur kamen. Dazu kommt auch noch die Bedeutung des Lichts in der christlichen Mystik, die aus Syrien stammende Innovation farbiger Gläser, die Fertigkeit, diese Scheibchen in Bleirahmen einzufügen und so die grossartigen gotischen Kirchenfenster zu schaffen usw. Der Baumeister, der den Prager Veitsdom in seiner Erstversion fertigstellte, war 23 Jahre alt, als er nach Prag gerufen wurde. Und warum heisst der Veitsdom überhaupt so und steht mitten in der Burg?

Die stillen Gärten rund um das gotische Agneskloster, heute Sitz der bedeutenden Sammlung mittelalterlicher Kunst der Nationalgalerie. Die Grünanlage ist ein Ort der Ruhe im ansonsten oft quirligen Stadtzentrum.

Die Renaissance ist wieder eine ganz andere Geschichte. Ich gebe mich nicht damit zufrieden, dass sie zu Beginn der Neuzeit “in Florenz entstand”, das sind stereotype Formulierungen, die zu hinterfragen sind, denn jede Innovation ist von irgendeiner konkreten Person ausgegangen. Im Falle dieser Kunstrichtung, eng verwoben mit einem neuen Menschenbild, lässt sich die Genese verhältnismässig leicht nachvollziehen. Dass diese Entwicklung eng mit dem Mäzenatentum der Medici verbunden war, weiss man. Dass sich der letzte Medici seine Nächte in Prag um die Ohren schlug, wissen eher wenige. Seine Frau, an der er kein Interesse hatte, und spätere Witwe, liess an der Westseite des Burgvorplatzes Hradčanské náměstí das Toskana-Palais errichten.

Ein eigenes Faszinosum ist die jüngere jüdische Geschichte Prags mit dem Aufstieg und der Vernichtung einer der grössten jüdischen Gemeinden Europas und ihrem enormen Anteil an Kunst, Kultur, Industrie und generell am Intellektualismus der Stadt. Die heute bis auf Kafka nahezu vergessene Prager Deutsche Literatur war ein weitgehend jüdisches Phänomen, und der Prager Zionismus, aufbauend auf Theodor Herzl und Martin Buber, die hier wesentlich mehr Aufmerksamkeit erfuhren als in Wien, hatte eine für beide Seiten verträgliche Nahostlösung zum Ziel, die jedoch am politischen Versagen der damaligen Grossmächte scheiterte. Jedenfalls wurde der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Prager Filosof Hugo Bergmann der erste Rektor der Hebräischen Universität in Jerusalem. Im Prager Jüdischen Museum, und bei weitem nicht nur dort, kann man sich die Anfänge jener Entwicklung ansehen, die dazu führten, dass die Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit das zehntgrösste Industrieland der Welt (!) war.

Der Neue Jüdische Friedhof in Prag, der für mich wesentlich interessanter ist als der alte, da ich mit zahlreichen Namen und Familiengeschichten vertraut bin und hier ausserdem kaum jemand herkommt ausser wenigen Kafka-Fans.

Eine weitere meiner Spezialitäten ist die 1. Republik, also die Zwischenkriegszeit, in der sich das wohlhabende Prag zu einer europäischen Metropole entwickelte und die Kunst- und Kulturszene geradezu explodierte, während das verarmte Wien Hunger leiden musste. Film und Theater feierten Erfolge, die Architekturszene wetteiferte mit der Bauhaus-Mode. Wenn man sich den Massentourismus und die Billigläden am Wenzelsplatz wegdenkt, kann man noch viel aus dieser Epoche sehen. Mindestens ebenso interessant ist die Zeit zwischen 1933 und 1938, wo Prag Exilort für meist deutsche Juden und Kommunisten war, und ganze Verlage und Theatergruppen nach Prag transferiert wurden.

Baba, die Mustersiedlung des Funktionalismus hoch über der Stadt. Industrielle, Künstler und wohlhabende Freiberufler liessen sich Ende der 1920er dort ihre Traumvillen errichten.

All dies, und viel mehr, ist mein ganz anderes Prag, das ich Ihnen zeigen will, selbst wenn Burg, Brücke und Bier auch dazugehören. “Mein ganz anderes Prag” ist auch der Titel meines ersten Buches über Prag, das voraussichtlich 2023 erscheinen wird.

Noch nicht genug? Lesen Sie bitte, was meine Gäste dazu meinen!

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