In seinem Vortrag am 30.10.2021 präsentierte Günther Krumpak die ereignisreiche Chronik der Industriedynastie der Ringhoffers von der Gesellenwanderschaft des aus dem heutigen Burgenland stammenden Franz (I.) Ringhoffer, der 1769 als mit einer Kupferschmiede in Prag in den Verzeichnissen aufschien, bis zum tragischen Schicksal des Hans von Ringhoffer in einem Sammellager des NKWD im Jahr 1946.

Die Vortragsreihe im Literaturcafé Božská lahvice in Prag heisst “Geschichte im Kontext”, daher stellte Krumpak immer wieder Querverbindungen zu den Ereignissen der Zeit her, sei es die eheliche Verbindung zur Familie des Goldschmieds des Prager Jesuleins, die Rolle mehrerer Ringhoffers im Prager Stadtrat und die Nationalitätenfrage im 19. Jahrhundert, oder die abenteuerlichen Erschleichung der Tatra-Patente durch Hitler und den dadurch mitverursachten späteren Welterfolg des Volkswagen-Käfers. Die genialen Tatra-Ingenieure stammten allesamt aus Österreich – Hans Ledwinka, der Vater des Haflinger- und Pinzgauer Konstrukteurs Erich, Béla Barényi und Edmund Rumpler.
Die Ringhoffers sind ausserhalb der Tschechischen Republik heute kaum mehr bekannt – zu Unrecht. Als grösster Waggonbauer der Monarchie und Ausrüster zahlreicher Zuckerfabriken, Destillerien und Brauereien hatten sie bedeutend zum Aufstieg der Tschechoslowakei zur zehntgrössten Industrienation der Welt in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts beigetragen. Ringhoffer lieferte die Salonwagen des Kaiserzuges, produzierte technisch höchst fortgeschrittene Automobile und unterstützte massiv den Ausbau des Eisenbahnnetzes.

Krumpak zitierte aus dem ersten Band des semibiografischen Fünfteilers “Vernunfthochzeiten”, “Sňatky z rozumu” von Vladimír Neff eine Passage, in der ein Internatsschüler des Klementinums nächtens den Lärm aus der Karlova (-Gasse) vernimmt, der durch den Transport der Ringhofferschen Eisenbahnwaggons mittels achtspänniger Pferdefuhrwerke über die Karlsbrücke und weiter zum Masaryk-Bahnhof verursacht wird. Franz Ringhoffer II. war es schliesslich, der den Bau der Böhmischen Westbahn und die Verbindungsstrecke vom Bahnhof Smíchov zum Hauptbahnhof samt seinen vier Tunnels initiierte, deren Aushub von Tunnelkonstrukteur Moritz Gröbe als Fundament für seine Villa im gleichnamigen Prag genutzt wurde.
Franz Ringhoffer II. war es auch, der bereits in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Krankenversicherung für seine Arbeiter eingeführt hatte. Entlassen durfte nur werden, der sich eines Verbrechens schuldig gemacht hatte.

Der letzte Firmenpatriarch, der einen Grosskonzern mit nahezu 30.000 Mitarbeitern steuerte – die Firma war seit 1911 eine AG – wurde der Kollaboration mit dem NS-Regime beschuldigt. Wie weit dies freiwillig erfolgte oder erzwungen war, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Letztmalig wurde Baron Hans von Ringhoffer von Gerhard Scholten im NKWD-Lager Mühlberg erblickt. Scholten war der Vater des späteren österreichischen Unterrichtsministers.
Text: Dr. Petra Elisabeth Nykodým, Die Christliche Gemeinschaft Literatur-Kulturkreis
Die historischen Fotos stammen aus Publikationen, die der ARCO Academy von Emanuel Ringhoffer, Wien, zur Verfügung gestellt wurden.
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